„Einen Propheten wie mich …“
Ernsthaft? Einen Minderwertigkeitskomplex kann Mose in dieser Situation wohl nicht gehabt haben. So überzeugt muss man erst einmal von sich sprechen können!
Ist das derselbe Mose, der zu Beginn seiner Laufbahn jammerte und lamentierte: „Ach Herr, ich habe doch noch nie gut reden können, und auch seit du mit mir, deinem Diener, sprichst, ist das nicht besser geworden. Ich bin im Reden viel zu schwerfällig und unbeholfen“. – Den Aaron hat er gebraucht, um Gottes Wort unter die Menschen zu bringen. Alleine hat er sich ja gar nicht getraut. Und dann dieses: „Einen Propheten wie mich ...“
Mose kann beides: Er kennt seine Stärken, weiß was wichtig und bedeutend an ihm ist, und weiß genauso auch um seine Schwächen. Mose hat als sehr bedürftiger Berufener begonnen. Überspitzt formuliert war er ein „Jammernder“, der sich nicht traute den Mund aufzumachen, für alles und jedes eine Hilfe brauchte und dann immer noch eine Ausrede fand.
Mose war mit dem Volk Gottes auf dem Weg ins gelobte Land – ein Ziel, von dem keiner so genau wusste, wann und wie sie das erreichen werden. Auf dem Weg dahin „formt“ Jahwe sein Volk. Es erhält neue Gebote und dazu – so erzählt das Buch Deuteronomium an dieser Stelle – eine Vielzahl an konkreten Ausführungen und Handlungsanleitungen. Und Mose wächst mit seiner Rolle als Sprachrohr zwischen Jahwe und seinem Volk.
Das Volk Gottes von heute, konkret die Kirche von heute, ist auch unterwegs und ich finde viele Parallelen zu unserer heutigen Situation. Vielleicht wäre es ein guter Anfang für die „moderne Kirche“, ihre Bedürftigkeit mal einzusehen und zu begreifen, dass wir auf dem Weg sind und auf diesem Weg „geformt“ werden.
Mose zeigt uns zwei Dinge. Einerseits ist es wichtig, die eigenen Grenzen zu kennen. Jeder sollte wissen, was er kann und wo er auf andere angewiesen ist. Niemand kann alles. Und vor allem: Niemand kann alles allein. Wer sich das einbildet, der liegt schneller auf der Nase, als er sich vorstellen kann.
Andererseits ist der überzeugte, selbstbewusste Auftritt auch von Nöten. Das zeigt uns die heutige Bibelstelle: Er wusste auch, was er inzwischen konnte, vor allem, in welcher Beziehung er zu Gott steht und dass er ein Prophet ist – und was für einer! Das in der Öffentlichkeit zu zeigen verlangt auch Mut.
Und das ist wesentlich bzw. diesbezüglich haben wir alle viel zu lernen: Beides macht ihn aus – ihn und uns auch.
Mose macht deutlich, dass keine der beiden Seiten für sich allein stehen bleiben darf. Ich bin wichtig und ich bin als Person sogar unverzichtbar. Ohne mich wäre die Welt ein gutes Stück ärmer. Und ich habe auch meine Macken, meine Schwächen und meine ganz handfesten Fehler. Beides gibt es, beides gilt es anzuschauen und um beides zu wissen.
Mose war am Anfang bedürftig und konnte nicht allein alles packen; als er selbstbewusster geworden ist, wusste er aber auch darüber Bescheid, dass er nicht der einzige Prophet aller Zeiten war, auch wenn er doch in seiner Lebenswelt mit seiner Aufgabe eine Zeit lang unersetzbar gewesen ist. Nach ihm ging das Leben des Volkes Israel weiter. Mose selbst erreichte nicht das eigentliche Ziel der Wanderung, das gelobte Land. Und es sind noch andere Propheten gekommen, genauso wichtige wie er. Die Erlösung, das Heil der Menschen, war nie sein Werk.
Ein guter Anstoß für uns alle, uns als Bedürftige auf den Weg in die Zukunft zu machen. Und eines spüre ich bereits: Auf diesem Weg werde ich nicht mehr der Gefahr ausgesetzt, weder den eingebildeten noch den jammernden Mose spielen zu müssen! Ich habe festgestellt, dass ich sowieso nicht alles kann und daher bin ich froh, dass ich nicht allein alles tun muss. Wer das verinnerlicht hat, überlegt sich nicht zwei Mal ob er sich auf den Weg macht oder nicht!
Meine Schlussfolgerung daraus: Genau hier und jetzt werde ich gebraucht, auch wenn ich schon jetzt weiß: Nicht nur Einen, sondern viele Propheten wie mich wird Gott noch erstehen lassen!
Claudiu Budãu